Heilbronner Geschichten: Besengespräche – Ach, diese Gegensätze!

Heilbronn 2050. Willst du in Heilbronn auf Menschen treffen, findest du die originellsten in einem sogenannten „Besen“. Das sind richtig coole Locations. Guter Wein wird ausgeschenkt und die Speisen nennt man Hausmannskost. Dort kochte man schon 2017 so und es gibt sogar Schweinefleisch! So etwas bekommt man nur in Heilbronn und hier auch nur in den Besen.

Mein Vater hat mir erzählt, dass er früher, das war so 2020, gerne dort gegessen hat. Und er kam immer mit irgendwelchen neuen Storys über irgendwelche Leute, die er nicht kannte, nach Hause. Jetzt bin ich inzwischen auch schon 67 und ich muss sagen, dort gehe ich gerne hin, denn man lernt dort wirklich richtig coole Leute kennen.

Also, neulich war ich mit meinem Partner im ‚Störzbach‘ in Böckingen und wir setzten uns zu anderen Leuten an den Tisch. Das ist so üblich. Na ja, die Jugend geht dort nicht unbedingt zum Chillen hin. Die Leute am Tisch waren ungefähr in unserem Alter – jenseits der 60. Wir freuten uns alle auf unser Viertele, da wir ja alle nicht selbst heimfahren mussten, denn wir waren mit dem „Car2Go“ da.

„Gell, des isch ä guede Sach, des mit dem Selbschdfahrer,“ meinte der eine Mann mir gegenüber. „früher hend mr immer gucke müsse, dass ma net erwischt worre isch wegs em Viertele.“ „Also, dass war mal eine brilliante Idee von der Stadt, den ganzen Privatverkehr in ein Öffentliches Verkehrssystem um zu wandeln.“ meinte ich dazu. „Wir haben gar kein privates Auto mehr“ mischte sich jetzt meine Nebensitzerin ein, eine Frau namens Gabriele. „Und meine Freundin ist ja immer mit dem Rolli unterwegs und kann jetzt den neuen ‚Car2rollhub‘ benutzen. Die ist ganz begeistert, vor allem von den mitfahrenden Helfern. Das sind doch meist junge zugewanderte Hilfen, die richtig nett sind und auch schon mal ihr die Blumen gießen! Na, ihr versteht schon!“ „ Also des isch scho recht, dass d’Stadd den Benzin-Stinker-Verkähr aus dr Kernstadd verbannt het“ meinte der erste Tischgast. „Un des läuft besser als i denkt hen.“ „Ja,“ meinte Harald, mein Partner, „ich bin richtig überrascht, dass dieser Öffentliche E-Mobil-Transport so gut funktioniert. Keine Staus mehr in der Stadt, keine Wartezeiten, die Dinger klinken sich überall ein und halten auch jederzeit da, wo du willst. Und – sie verstehen sogar den Heilbronner Dialekt!“ meinte er mit einem Augenzwinkern zu unserem Tischnachbarn. Da lachten alle.

Dann bekam der erste sein Essen: Sauerkraut mit Schäufele. Man wünschte einen guten Appetit. Und nun kam das nächste Thema in die Runde:

„ Ha des isch was gueds.“ schmatzte das Heilbronner Urgestein. „Jezd war I doch im Radhaus, mei Tochter het gheiert. Dr Ratskeller isch nimme mit schwäbischer Küch. Do kocht jezd ebber anderer. So ausländisches Zeugs. Also, dr ganze Platz het jezd nur no ausländische Gschäft. Des wird net guet ende.“

Ich bekam inzwischen meinen Besentoast und Gabriele meinte: „Ja, wir mussten uns auch erst dran gewöhnen, dass wir den 2. Oster- und Weihnachtstag zugunsten des Zuckerfestes abgeben mussten. Manchmal kommt man sich so vor, als sei man hier auf Urlaub.“ „Ja, aber“ meinte Harald „wir können doch froh sein, dass die neuen Einwanderer sich für all unsere Hilfsdienste ausbilden lassen und dort arbeiten. Was bleibt schon noch an Handarbeit übrig, seitdem die Kranken- und Altenpflege robotisiert wurde. Der Betank-Service für die Wasserstoff- und E-Mobile ist doch nur ein Beispiel, wir brauchen uns um gar nichts mehr zu kümmern, nur die App auf dem Mobilphon und schon ist unser Transport gecheckt. Und ja, das Stadtgrün. Wie wunderbar blüht unsere Stadt!“

„Seit der BUGA in 2019 ist Heilbronn zur buntesten Stadt in Deutschland aufgeblüht!“ stimmte ich ihm zu. „Schade ist nur, dass das Wohnviertel Neckarbogen inzwischen zum Konfliktpunkt geworden ist. Wir hatten früher auch mal eine Wohnung im Neckarbogen. Aber da will heute keiner mehr einziehen, wer noch etwas Ruhe und Komfort haben möchte. Das war ja mal ein sogenanntes Vorzeige-Wohnen nach der BUGA 2019, doch heute wird das schon komplett von weit zugereisten Menschen bewohnt. Dort herrscht heute eine vollkommen andere Kultur.“ Und Gabriele ergänzte: „ Jetzt hat die Stadt auch noch eine Glaskuppel über das Gebiet gebaut, wegen der klimatischen Durchlüftung dort, denn die Häuser sind ja veraltet, was die Öko-Anforderungen betrifft. Jetzt sind die Bewohner dort richtig isoliert.“ Und Harald ergänzte: „Wir sind vor kurzem in eine neue Wohnung gezogen. Also, ich sag nur, einfach super. Wir wohnten noch im alten Heilbronner Osten, an der „Arme Sünder-Steige“. Aber dort wird jetzt alles vollkommen neu gestaltet und man hatte uns eine tolle Wohnung in der Nordstadt angeboten, die wir nicht ausschlagen konnten. Also: 150 qm für nur 20 Prozent vom Monatseinkommen, aber da ist total alles mit abgegolten! Keine Heizungskosten, denn Null-Energie-Level, keine Stromkosten, denn Solar auf dem Dach und unser Brauchwasser wird wieder aufbereitet. Wir haben einen Garten gleich einen Stock tiefer und können unseren eigenen Salat ernten und mit einer Wasser-Pflanzen-Wand wird unsere Luft komplett gereinigt. Wir haben kaum Müll. Das Haus ist komplett unabhängig von Heizung, Wasser und Elektrizität. Wir produzieren auch saubere Luft. Was wir essen, kommt in den Biokreislauf und andere Sachen können wir online entsorgen. Wir sind dort total glücklich.“

„Eins muss ma dem Özcan Bechtle, unserem Oberbürgermeischter, lo. Der het eufach en Weitblick mit dr Stadtplanung. Het em au viel Arbet koscht, elle vom Umbau auf unsre Öko-Stadt no zu biage!“ meinte mein Heilbronner Gegenüber. „Sogar die Wengerter het er elle uf seiner Seit. Dass die Weinberg alle koschtelos mit unserem Brauchwasser versorgt werre, isch doch a grosse Sach!“ „Na, ja,“ meinte Gabriele, „das kostet dem Steuerzahler trotzdem genug, wo wir doch alle unser eigenes Wasser recyceln und nur noch wenig Abwasser anfällt. Aber trotzdem: lieber das steuerlich bezahlte Abwasser zu Wein machen, als keinen Wein mehr trinken!“ und wir prosteten uns alle zu.

„Wenigschdens hän mir Alde noch ä Plätzle, wo mir unter uns sind. D‘ Junge händ jezd scho wiedr ä neue Location zum abhänge. Den ganze alte Wollhausturm händ se zum Jugendtreff umfunktioniert, mit Diso auf vier Stockwerke – des isch recht so, do im Zentrum hört eh keuner uf de Lärm.“ meinte unser Heilbronner Urgestein. „Ich erinnere mich noch, dass mein Vater über die Brutalarchitektur vom Wollhausturm geschimpft hat. Da war ja mal ein Einkaufszentrum drin, das nicht funktionierte und später überlegte man, es zu sprengen und was richtig Modernes dort hin zu bauen. Aber jetzt hat man es der Jugend überlassen. Nur die umwelttechnischen Auflagen erfüllt das Gebäude ja immer noch nicht! Das finde ich nicht gut, daß man der Jugend so ein ökologisches Desaster überläßt.“ meinte Gabriele.

„Da hat der Gemeinderat aber vor vielen Jahren so richtig geschlafen! Ich kann mich noch an das Hick-Hack erinnern. Das ging lange durch die Presse!“ meinte Harald. „Na, Gott sei Dank, ist das das einzige Heilbronner Bau-Desaster. Sonst gäbe es ja gar nichts mehr zu meckern in unserer Stadt.“

Gabriele meinte: „Ich find’s gut, dass die Studenten jetzt alle in der Kernstadt wohntechnisch untergebracht sind. Das bringt irgendwie so etwas wie internationalen Flair.“ „Na ja, da fällt auch nicht so sehr auf, dass eigentlich kein echter Heilbronner mehr in der Kernstadt wohnt.“ reklamierte Harald. „Ist ja doch irgendwie schade, dass alle an den Stadtrand, oder in die Vororte gezogen sind.“ Da protestierte ich: „Also, der Dieter Schwarz hat ja die gesamte Kernstadt aufgekauft und sie in die Uni integriert. Da hat er die komplette Innenstadt zum IT-Zentrum ausgebaut, sogar noch ein paar denkmalgeschützte Gebäude saniert und erhalten und insgesamt ein tolles Klima geschaffen. Gutes Klima in mehrfacher Bedeutung: Keine Luftverschmutzung mehr, ÖVP läuft abgasfrei, Wasser, Müll und Energie super gelöst und die IT Wirtschaft boomt so richtig. Das hat uns zusätzlich viel internationale Anerkennung gebracht – ist doch toll.“ „Ha ja, do het der Gmeinderat ämol net so viel Bedenke nei brocht und elles gmacht, wie der Schwarz es derdemols bschdimmt het. Und dann hets basst.“

„Ja, des isch scho recht. Wenn nur dr Wei guet wachse duet. Bald müsse ma noch alle Rebstöck mit Schutzglasdächer vor d Sonn und dem viele Hagel schütze. Das Klima isch halt ä Drama. Aber des werre ma au no schaffe!“ meinte unser Heilbronner Urgestein.

So ging das Gespräch zwischen uns vier Leuten am Tisch noch den ganzen Abend lang, denn ein Viertele Wein löst ja bekanntlich die Zunge… Und man fuhr nach Hause mit dem Gedanken: „in Heilbronn zu leben ist – eigentlich – eine gute Sache.“

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